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Thema: Ethische Bedenken gegen Reutter-Studie?

  1. #1
    Esther und Linus
    Gast

    Standard Ethische Bedenken gegen Reutter-Studie?

    Hallo Ihr alle!

    Wahrscheinlich pack ich da gerade ein heißes Eisen an, aber dann muß das wohl jetzt mal so sein...Ich will niemandem von Euch auf den Schlips treten. Aber ich mach mir zur Zeit so viele Gedanken um die Geschichte mit der Reutter-Studie. Ich weiß, daß viele von Euch an der Reutter-Studie teilgenommen haben und teilnehmen und ich weiß, daß Ihr das sicher aus den besten Motiven heraus tut, nämlich, mitzuhelfen, etwas über die Entstehung von LKGS-Spalten herauszubekommen.

    Aber nun meine Frage: Habt Ihr eigentlich auch ein paar ethische Bedenken gegen das Ganze, so wie ich? Mein Mann und ich haben wirklich erwogen, mitzumachen, aber wir konnten uns auch (und gerade) nach gründlicher Lektüre der Reutterschen Internetseite nicht dazu durchringen. Hier unsere Gründe.

    Die schreiben auf der Seite, daß sie herausfinden wollen, ob es genetische Ursachen für die Entstehung von isolierten LKGS-Spalten gibt. Aber was meint Ihr, warum wollen die das herausfinden? Wahrscheinlich wollen sie nicht allein herausfinden, wie es zu einer Spaltbildung kommt, sondern logischerweise auch, was man aus medizinischer Sicht dagegen tun kann. Aber was kann man tun, vorausgesetzt, man findet genetische Ursachen? Man kann entweder Medikamente entwickeln, die die Spaltbildung verhindern könnten, meinetwegen irgendwelche Folsäuresachen oder so. Okay. Das finde ich gut. Aber auf der genetischen Ebene kann man ja keine Medikamente geben. Die DNA ist ja in jeder Zelle des Körpers vorhanden. Wenn man also ein "LKGS-Gen" fände, was könnte man dann tun? Man könnte eventuell entweder Schwangerschaftsabbrüche rechterftigen, oder man könnte für den Fall, daß man im Erbmaterial der Eltern gewisse genetische Risikofaktoren findet, unter Bedingungen einer In-Vitro-Fertilisation nur Embryonen ohne LKGS überleben lassen. Ich weiß, das klingt horrormäßig und wie ein schlechter Film, aber ich glaube, so weit weg sind wir davon gar nicht mehr. Und selbst wenn die Forscher um Reutter das so sicherlich nicht wollen. Was kann in 20 oder 30 Jahren mit den Ergebnissen passieren? Wenn vielleicht die rechtlichen Bedingungen für Genmanipulation weiter gelockert worden sind?

    Und in unserer schicken jungen schönen Welt, in die das Andersartige, Besondere, Ungewöhnliche nicht reinpaßt, in der man auch z.B. kaum Down-Kinder mehr sieht, weil es kaum mehr welche gibt, weil man es diagnostizieren kann!, da möchte ich vielleicht gar nicht an so etwas mitwirken.

    Versteht Ihr meine Gedankengänge? Habt Ihr solche Gedanken auch? Das ist ein ziemliches Dilemma! Bin ich nun Forschungs-feindlich, oder bin ich konsequent und handle ethisch?

    Viele Grüße

  2. #2
    Seven_of_Nine
    Gast

    Standard

    In Deutschland sind die gesetzlichen Vorgaben, was Genforschung angeht, sehr streng angelegt und diese Studien werden genauestens sowohl von den zuständigen Behörden als auch diversen Ethik-Kommissionen der eigenen Universität und natürlich unabhängigen Institutionen geprüft, und das mehrfach.

    Eure Bedenken sind nachvollziehbar und es dürfte ausdrücklich erwünscht sein wenn man ihnen die Bedenken mitteilt und ihnen die Chance gibt darauf zu antworten.

    Meiner Meinung nach bin ich mir aber sicher dass diese Studie nicht dafür missbraucht wird, um die Forschung in Richtung der "Selektion" voranzutreiben, weil ich da keine Ansätze in der Studie sehe, die dafür Erkenntnisse liefern könnten. Ich wiederhole: Es ist meine persönliche Meinung.

  3. #3

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    Standard

    Liebe Esther,
    ich verstehe sehr gut, was Du meinst, denn genau die gleichen Gedanken haben wir uns damals auch gemacht.
    Ich habe mit Herrn Reutter telefoniert und ihn auch direkt darauf angesprochen. Er hat sich für seine Antwort viel Zeit genommen und mir meine Bedenken genommen. Aber peinlicherweise ist das schon wieder so lange her, dass mein Siebgehirn seine Antworten nicht mehr richtig wiedergeben kann.
    Deshalb kann ich Dir nur empfehlen, ihn auch selbst darauf anzusprechen.
    Übrigens gibt es bei der Studie ein Formular zum Ankreuzen, was mit den erhobenen Daten gemacht werden darf. Wir haben da sehr wenig angekreuzt. Mein Mann hat beim Ausfüllen zu Dr. Reutter gesagt: "Wenn ich das hier ankreuze, habe ich Angst, das..." und er sagte: "Dann kreuzen Sie es nicht an."

    Aber ich kann es auch verstehen, wenn Ihr das Ganze lieber bleiben lassen wollt.
    Liebe Grüße von Gabi
    Gabi mit Lukas, *30.03.03, Gaumenspalte, und Geschwistern Tobias *1997, David *1998 und Simon *2000
    Steckbrief von Lukas
    Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
    Antoine de Saint-Exupérie

  4. #4
    Avatar von Nina mit Leonie
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    Hallo Esther,
    ich denke nicht, daß Du Forschungs-feindlich bist, ich denke, Du hast einen gesunden Menschenverstand und nutzt ihn, indem Du Dir Gedanken über Dinge machst, bevor Du sie angehst.
    Ich persönlich möchte an dieser Studie teilnehmen, damit meine Kinder, Nichten, Neffe usw. vielleicht bereits in einigen Jahren genauer wissen, wie groß das Risiko für sie ist, Spaltkinder zu bekommen. Andererseits kennen sie Spaltbildungen aus unserer Familie und wissen, daß auch Spaltkinder "problemlos" großzuziehen sind und werden sich deshalb vielleicht auch bei großer Vererbungsgefahr nicht gegen eigene Kinder entscheiden.
    Ich sehe in der Studie den Vorteil, daß man vorher feststellen kann, ob mein Kind eine Spalte hätte oder nicht, bevor es gezeugt wird.
    Grüße aus Hamburg
    Nina mit Leonie (1. Juli 2005 subcutane Lippenspalte, Kieferspalte, verdeckte Weichgaumenspalte), z.Zt. Feinschliff durch feste Zahnspange

    mit 2 großen Schwestern (Nov. 96 und Dez. 00) und 1 kleinen Bruder (Sept. 16), alle ohne Spalte




  5. #5
    dario und jasmin
    Gast

    Standard

    kurze provokante frage:
    bei allen bedenken über die ethik.-
    hättet ihr lieber ein "gesundes" kind oder lieber ein spalt baby ?

    (nagelt mich bitte nicht jetzt auf krank/gesund/fehlgebildet/oder völlig normal fest! ein spaltbabay ist nunmal nicht "so normal geformt" wie die gesunden babys, egal wie jeder das nennt..)

    bitte nicht falsch verstehen, aber ich die wahl gehabt hätte, hätte ich dario lieber die schmerzen einer op und die folgeprobleme erspart.
    nicht durch abtreibung, sicher nicht, aber eine pille vorher geschluckt und das risiko einiger krankheiten gesenkt oder gar ausschließen?! klar!

    liebe grüße, jasmin

  6. #6

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    Jasmin, Esther ging es aber nicht ums Pillenschlucken, das hat sie ja ganz deutlich geschrieben. Es ging ihr wohl eher um mögliche Manipulationen am "genetischen Material" eines Menschen.
    Natürlich wäre es mir lieber, wenn Lukas nicht mit Spalte zur Welt gekommen wäre, aber nicht zu jedem Preis. Ich finde die Vorstellung schrecklich, dass womöglich eines Tages nur noch perfekte Menschen im Reagenzglas gezeugt werden könnten.
    Gabi
    Gabi mit Lukas, *30.03.03, Gaumenspalte, und Geschwistern Tobias *1997, David *1998 und Simon *2000
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    Antoine de Saint-Exupérie

  7. #7
    Avatar von Petra und Julius
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    Hallo Esther,

    wir haben heuer im Sommer an der Studie teilgenommen, und ehrlich, ich wollte zuerst gar nicht, weil ich die gleichen Bedenken hatte wie du. Niemals darf ein Wissen auf Kosten der betroffenen (ungeborenen) Kinder gehen, und ich möchte dann bestimmt nicht daran mitgewirkt haben!

    Beim Treffen in St. Pölten war Dr. Birnbaum, die Mitarbeiterin von Dr. Reutter, anwesend und wir hatten ein Gespräch mit ihr, bevor wir uns entschieden.
    Sie konnte unsere Bedenken weitgehend ausräumen. Grob gesagt ist es so, dass es mit ziemlicher Sicherheit nicht das "eine" Spalt-Gen gibt, sondern es müssen immer mehrere Faktoren zusammentreffen, damit sich eine Spalte manifestiert. Es kann zB sein, dass die genetische "Anlage" zur Spaltbildung schon über Generationen in einer Familie vorhanden ist, aber erst wenn bestimmte Begleitumstände dazukommen, wird tatsächlich ein Spaltbaby geboren. Nun ist es das Ziel der Studie, nicht nur herauszufinden, welche genetische Disposition vohanden sein muss (oder auch nicht) und unter welchen Umständen diese zu einer Spalte führt. Genau dort könnte dann im Idealfall eine Vorbeugung ansetzen.
    Ich kann es nicht mehr ganz exakt wiedergeben, was Dr. Birnbaum sagte, aber mich hat es überzeugt. Ein gewisses "Restrisiko" des Missbrauchs (in meinem Sinne) gibt es natürlich, aber die Vorteile überwiegen für mich eindeutig.
    Liebe Grüße von Petra
    Julius (geb. 1996, beidseitige LKGS)
    Pia (geb. 1999)

  8. #8
    Esther und Linus
    Gast

    Standard

    Ja, ich meinte eher nicht Pillen. Denn Pillen können bei genetischen Dingen ja nicht helfen. Ich meinte eher, daß vielleicht nach der Zeugung "aussortiert" werden kann, beziehungsweise daß gezielt gezeugt werden kann, z.B. in vitro.

    In den USA gibt's ja schon Mediziner, die Wünsche nach dem Geschlecht erfüllen bei Paaren mit Kinderwunsch. Schon das ist mir zu schräg.

    Und ich las z.B. vor ca. einem Jahr in der Zeitung über ein lesbisches Paar (in Frankreich? Ich weiß nicht mehr genau), die beide seit Geburt taubstumm sind und ein Kind wollten. Ganz skurrilie Geschichte, aber in einer seriösen Zeitung veröffentlicht! Sie wünschten sich ausdrücklich ein taubes Baby. Es wurde mit einem Samenspender gezeugt und einer der Föten mit dem "Taubheits-Gen" bekam den Zuschlag. Diese Richtung meinte ich eher. Ich möchte nicht, daß Föten aussortiert werden. Weder im positiven noch im negativen Sinn, nein, überhaupt gar nicht. Weil ich finde, daß der Mensch das nicht darf. Und das können die mir gar nicht garantieren, daß sie das nicht irgendwann machen können!

    Und die Frage, ob ich Linus mit oder ohne Spalte möchte, hat sich mir noch nie gestellt, weil er eben so ist wie er ist und nicht anders. Insofern wünsche ich ihn mir auch nicht anders oder "gesund". Er ist wie er ist.

    Sorry...Mache mir halt viele Gedanken. Ach je. Wird wohl drauf hinauslaufen, daß ich den Herrn Dr. Reutter mal anrufen muß.

    Liebe Grüße

  9. #9
    Avatar von hanky
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    Standard

    Jede Studie zu diesem Thema begrüsse ich!
    Meine Kinder wissen, dass sie vorbelastet sind. Durch Onkel und Cousine.
    Sie wachsen damit auf und sind aufgeklärt.
    Und jede weitere Studie ist goldwert.

  10. #10

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    Standard Nu mal langsam

    Genetische Forschung ist ziemlich komplex. Wenn man ein "Spaltengen" findet, bedeutet das nicht, dass nur die Möglichkeit des ausselegierens besteht. Ein Lehrer in meiner Schulzeit hat es schön ausgedrückt: "Man kann nicht das Gen, das bei einem Hund einen Schwanz macht in einen Menschen einpflanzen, um einen Mensch mit Schwanz zu bekommen. Mit Genen kann man nur Chemie machen". Deshalb halte ich es für denkbar, dass ein "Spaltengen" bewirkt, dass ein bestimmter Botenstoff, der das Zusammenwachsen der Kiefer in einer frühembryonalen Phase (also vermutlich ehe man auf dem Ultraschall etwas sehen kann) auslöst, zum entscheidenden Zeitpunkt in der falschen Menge ausgeschüttet wird. In diesem Fall ließe sich der Gendefekt in der kritischen Phase der Strukturierung des Embryos wohl durchaus medikamentös beheben; indem man den Botenstoff, der die Ausformung des Kiefers und der Lippe bestimmt, richtig einstellt.
    Außerdem musste für die Studie ein Forschungsantrag gestellt werden und bei der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft, diese Institution verteilt die Forschungsmittel, die vom Bund und den Ländern bereitgestellt werden) ist es für medizinische Projekte erheblich leichter, Forschungsmittel zu bekommen, wenn sie sich auf eine genetische Grundlage stellen, als wenn sie darauf verzichten. Genforschung ist eben in. Deshalb dem Forscher zu unterstellen, er wolle die Möglichkeit der genetischen Selektion vorantreiben, oder er nehme diese Möglichkeit deshalb billigend in Kauf, halte ich für vorschnell. Insbesondere, weil man, wenn man diese Meinung zu leidenschaftlich vertritt, Gefahr läuft, den Eindruck zu erwecken, mann stelle den Forscher, den man dessen bezichtigt, in eine Reihe mit KZ-Ärzten, die sich zu Richtern über lebenswertes und lebensunwertes Leben aufschwangen.
    Letztenendes ist der Forscher nicht derjenige, der entscheidet, wie die Resultate, die er erzielt verwendet werden, diese Entscheidung wird von den Menschen getroffen, die die Resultate tatsächlich nutzen. Hätten die Menschen in der Steinzeit auf den Jagdbogen verzichten sollen, weil der auch gegen Menschen einsetzbar ist?
    Man sollte nicht vergessen, dass die LKGS, gesamtgesellschaftlich gesehen, eher ein Randproblem ist, und wenn jetzt die genetischen Zusammenhänge genauer erforscht werden, ändert das nichts am Umgang mit der Diagnose. Schon vor Jahren ahnte man, dass es eine erbliche Komponente bei der Spaltbildung gibt und durch die pränatale Diagnostik ist das "Aussortieren" durch Abtreibung bereits heute technisch möglich. Und so lange die in-vitro-Fertilisation nicht die Standardreproduktionsmethode der Menschheit ist, wird es auch unüblich bleiben, "Spaltenembryonen" vor dem Einpflanzung auszusortieren. Übrigens: Die In-Vitro-Fertilsation ist der einzige Kontext, bei dem eine DNS-Analyse an einem Embryo vor einem Ultraschall möglich ist. Bei einer klassischen Schwangerschaft muss man im Ultraschall etwas sehen können, sonst findet man die Zellen des Babys zwischen denen der Mutter so schlecht. Und ich glaube nicht, dass die Menschheit in absehbarer Zukunft aus dem Reagenzglas kommen wird; die Technik ist zu teuer, zu aufwändig, es gibt zu große Risiken, dass etwas schiefgehen könnte und vor allem: Die klassische Methode macht zu viel Spaß:Zwinker:. Somit sehe ich die moralischen Implikationen eines solchen Forschungsprojektes nicht.
    Ich habe in den oben stehenden Beiträgen die Angst vor Huxleys "Schöne(r) Neue(n) Welt" gelesen; die ist und bleibt aber Science Fiction.

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