Doreen,
nicht meine Worte sind entwürdigend sondern die Lebensumstände, die ich damit umreißen wollte. Man kann etwas, das im Kern würdelos ist nur in würdevolle Worte kleiden, wenn man dabei heuchelt, dass sich die Balken biegen. Klar "sabbernd im Rollstuhl verbringen" ist verkürzt; aber um genau zu definieren, wo meiner Ansicht so wenig Würde übrig bleibt, dass ich persönlich lieber tot wäre, als so zu leben, müsste ich eine längere Abhandlung schreiben, die wahrscheinlich hier niemand lesen möchte. Jedenfalls geht es mMn in den Randbereichen der medizinischen Möglichkeiten nie nur um Leben oder Tod sondern immer auch um die Würde der Betroffenen und manchmal muss man zwischen dem Leben und der Würde wählen. Das ist eine verdammt schwere Wahl mit der Angehörige, die gerade auf einer emotionalen Achterbahnfahrt sind, eigentlich immer überfordert sind. Jedenfalls finde ich persönlich, dass man von einem gewissen Punkt an die Würde dem Leben vorziehen sollte. Aber wo genau dieser Punkt liegt, lässt sich nicht allgemein definieren sondern muss für jeden Einzelfall individuell festgelegt werden. Vorzugsweise nach den Vorstellungen des Betroffenen, aber bei Frühgeburten, ist leider unmöglich, den rauszukriegen. Das macht die Sache sehr schwierig.
Ich habe eine Patientenverfügung aufgesetzt, in der ich definiert habe, in welchen Situationen ich den Tod dem Leben vorziehen würde. Allerdings bin ich nicht sicher, ob sie im Falle eines Falles auch umgesetzt werden kann, weil einige Situationen aktive - und somit nach der geltenden Gesetzeslage illegale - Sterbehilfe erfordern würden. Ich gebe zu, da spielt nicht nur die Sorge um meine Würde mit hinein sonder auch der Gedanke, dass ich meinen Verwandten damit bestimmte, emotional extrem belastende Situationen ersparen möchte. Aber unterm Strich steht die Frage: Welches Recht habe ich denn, ein frühgeborenes Kind der Gefahr auszusetzen, ein Leben führen zu müssen, das ich, wenn es mich beträfe, gerne durch aktive Sterbehilfe beendet sähe?
Ich finde, es gibt Situationen, in denen man lieber die Würde eines Patienten achten und ihn gehen lassen sollte, anstatt bis zum Letzten um sein Leben zu kämpfen. Die am häufigsten zitierte Beispiel sind die Apparate-Medizin und Krebs im Endstadium. Meiner Auffassung nach fallen aber auch extreme Frühgeburten in diese Kategorie. Ich finde, das spielt der Mensch in viel größerem Maße Gott, als er es bei Abtreibungen tut. Da wird mit aller Gewalt ein Kind am Leben erhalten, dem die Natur kein Leben bestimmt hat (sonst würde es ja gar nicht erst viel zu früh zur Welt kommen). Und anders als bei einer Abtreibung, die vor allem das Leben und kaum die Würde berührt, wird mit der Würde des Frühchen schlimmer gezockt, als an einer Börse oder einem Casino. Niemand, der was von Wahrscheinlichkeitsrechnung versteht und bei klarem Verstand ist, würde sich auf ein Spiel einlassen, bei dem die Chance zu verlieren, bei 99% liegt. Aber eine einprozentige Chance, dass alles gut wird, scheint die viel höheren Risiken, dass es z.T. gravierende Spätfolgen gibt, völlig zu überstrahlen...
Wenn Eltern von extrem Frühgeborenen Kindern bereit sind, dreißig, vielleicht soger vierzig Jahre ihres Lebens damit zu verbringen, ihren sabbernd im Rollstuhl sitzenden Nachwuchs zu pflegen, dürfen sie das gerne tun. Es ist ihr Leben, nicht meines. Aber niemand hat das Recht, den Stab über Eltern zu brechen, die ihr Kind in der gleichen Sterben sterben lassen, weil sie glauben, ihrem Kind mit einem solchen Leben keinen Gefallen zu tun, oder weil ihnen die Kraft fehlt, ein mit der Geburt beginnendes Siechtum, so lange zu begleiten.
Das ist meine Meinung, die ich zwar ausdrücken aber natürlich niemandem vorschreiben möchte (erschreckend, dass man das hier immer wieder betonen muss). Mag sein, dass die sich irgendwann mal ändert. Aber wieso kann man sie bis dahin nicht einfach mal ohne dieses überhebliche "Warten wir mal, bis..." stehen lassen?
@ThomasT:
Wieso verwechselst Du mich mit djo? Ich habe doch nun wahrlich oft genug geschrieben, dass ihre Gedanken zwar nachvollziehen kann, sie jedoch nicht teile. Mir war in diesem Thread zu viel empörtes und schockiertes "lass das mit dem Kinder kriegen unter diesen Umständen lieber ganz" und zu wenig vom Versuch, djos Ängste zu verstehen und nachzuvollziehen, um ihr mit diesem Wissen zu helfen, sie abzubauen. Und auch wenn es Dich eigentlich nichts angeht: Mein Hauptproblem mit dem Zeugen von Nachwuchs sind nicht meine Ängste, sondern meine Schwierigkeiten eine dazu passende und willige Frau zu finden. Oder, um in der Analogie zu bleiben: Ich kann mich momentan weder anschnallen noch nicht anschnallen, weil mir das Auto fehlt.Wenn wir in der Analogie des Stranges bleiben würden, dann schnallst Du dich nicht an, weil ein Unfall passieren könnte. Nein, Du verschrottest gleich das komplette Auto.
@anne:
Wie kommst Du auf
?Zitat von anne
Der Satz:ist doch so klar, dass ein normal intelligenter Mensch ihn eigentlich nur mit böser Absicht missverstehen kann...Zitat von andyb77
@Isa:
Wie ich ThomasT gegenüber schon angedeutet habe, geht es mir um die fehlende Empathie djo gegenüber. Jemand, dessen "Kontakt" zu Mobbing darin besteht andere zu gequält zu haben, wird diese Empathie nicht entwickeln können. Man muss nicht unbedingt Mobbingopfer gewesen sein, um zu verstehen was, in einem vorgeht. Wenn man sich intensiv damit befasst und Mobbingopfer mit entsprechender Empathie begegnet, kommt man auch ohne eigene Opfererfahrungen dahinter. Aber dieser Empathie habe ich hier nicht viel bemerkt. Im Gegenteil: Das recht einhellige und von einigen sehr schroff vorgetragene "unter diesen Umständen solltest Du besser überhaupt keine Kinder kriegen" setzt meiner Auffassung nach das Mobbing auf einer anderen Ebene fort. Man macht djo zum zweiten zum Mobbingopfer, wenn man ihr wegen der Spuren, die das hinterlassen hat, das Recht auf Fortpflanzung abspricht, anstatt ihr dabei zu helfen, diese Spuren zu überwinden.
Abgesehen davon: Vielleicht habe ich djo falsch verstanden. Sie würde ein Kind mit LKGS abtreiben, weil sie glaubt, ihm mit den Problemen, die das bringt unmöglich helfen zu können. Wer - außer vielleicht den bis an der Verantwortungslosigkeit Naiven - darf sich überhaupt noch fortpflanzen, wenn derartige Selbstzweifel einen für die Elternschaft disqualifizieren?
Gruß
Andy
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