Zitat:
Es werden durch die Forschung Dilemmata erzeugt, wo es früher für Menschen gar nichts zu "entscheiden" gab
Weil es früher keine Möglichkeit zu Entscheiden gab, soll es heute auch keine geben? Dieses „Argument” kann man gegen wirklich jede Veränderung ins Feld führen. Nach dieser Logik könnte man von Dir verlangen, Dein Wahlrecht zurückzugeben und Dein Leben auf Kinder, Küche und Kirche zu beschränken; das war jahrhundertelang so, wieso sollte also heute anders sein?
Seit wann ist es etwas Schlechtes, eine Wahl zu haben? Wenn Wissenschaft (oder sonst etwas) Entscheidungsmöglichkeiten eröffnet, wo es früher keine gab, geschieht meiner Ansicht nach etwas Gutes. Ich glaube nämlich, dass die meisten Menschen auch ohne Bevormundung in der Lage sind, mit ihren Entscheidungsmöglichkeiten verantwortungsbewusst umzugehen.
Zitat:
Ich bekomme ein Kind, es ist so wie es ist und ich setze mich mit den Realitäten des Lebens auseinander.
Was auch heißen kann, das Kind nach der Geburt zu ersäufen, absichtlich verhungern zu lassen, oder sonst wie aus dem Leben zu befördern. Als die Kindersterblichkeit noch höher war, war dergleichen absolut üblich, da bei den vielen toten Kindern ohnehin niemand so genau hingeguckt hat. Dergleichen kann verhindert werden, wenn man den Menschen eine Wahl lässt, anstatt sie ohne jede Wahlmöglichkeit mit den "Realitäten des Lebens" zu konfrontieren.
Zitat:
"schaffen wir das?", "wollen wir das?"
Diese Fragen zu stellen und ehrlich zu beantworten, BEVOR man ein Kind zeugt, kann jede Menge Elend vermeiden. Von daher kann es nicht verwerflich sein, diese Fragen zu stellen.
Zitat:
Im nächsten Schritt, der auch schon diskutiert wird, werden die Krankenkassen die Versorgung von behinderten Kindern und Kindern mit Fehlbildungen verweigern, wenn sich die Eltern nicht im Vorfeld untersuchen lassen.
Das würde gegen das Grundgesetz verstoßen. Solche Schreckenszenarien sind daher letztlich nur Strohmannargumente.
Zitat:
So wie manche Leute forschen, weil sie eine positive Idee haben, was ein möglicher Nutzen der Forschung sein könnte (!), so denken andere Leute darüber nach, was ein möglicher Effekt dieser Erkenntnisse sein könnte und ob nicht der Nachteil den vermeintlichen Vorteil überwiegen wird.
Die Nachteile sind genauso ungewiss wie die Vorteile. Vorher zu behaupten, dass die Nachteile die Vorteile überwiegen werden, ist genauso sehr geraten/spekuliert/aus dem Kaffeesatz gelesen wie die umgekehrte Behauptung, schließlich kann kein Mensch in die Zukunft sehen. Mit derselben Berechtigung, wie möglichen Nutzen als „Phantasie” abtust, kann man die von Dir zitierten Nachteile als kleine Ängste eines verzagten Kleingeistes abtun. Auch wenn ich mich wiederhole: Gegen beinahe jede Art von Forschung ließen sich "wohlüberlegte Gründe finden", aus denen man sie besser lassen sollte. Wenn man sich davon leiten ließe, würden wird immer noch in der Steinzeit verharren.
Zitat:
Komm jetzt bitte nicht mit der Frage, wer das entscheiden sollte, denn es entscheidet ja auch jemand DASS geforscht wird, dann kann ebenso jemand entscheiden, dass NICHT geforscht wird. Die Frage ist eben auch hier: WER entscheidet und WARUM wird so entschieden?
Doch, das tue ich. Wenn Dir nicht recht ist, durch wen und warum derzeit entschieden wird, wie entschieden wird, solltest Du schon verraten, wie es Deiner Meinung nach stattdessen laufen sollte. Momentan entwickelt die Mehrzahl Forscher ihre Projekte selbst und suchen dann nach Geldgebern. Wenn sich die finden, wird geforscht, wenn sie sich nicht finden, kann nicht geforscht werden.
Wenn es um im weitesten Sinn medizinische Forschung geht, haben Ethikkommissionen ein gewichtiges Wort mitreden, wenn es um die Bewilligung von Geldern geht. Und da sitzen nicht nur Humangenetiker drin, sondern auch Juristen und Kirchenvertreter. Selbst private Forschung im medizinischen Bereich muss von Ethikkommissionen abgesegnet werden. Diese Ethikkommissionen tun genau das, was Du für Dich in Anspruch nimmst. Sie wägen die moralischen Konsequenzen ab und prüfen, ob der Nutzen eventuelle moralische Fragwürdigkeiten aufwiegt oder nicht. Im Gegensatz zu Dir werden sie aber aus erster Hand über sämtliche Details und Vorgehensweisen informiert. Die bekommen Projektanträge, die mehrere hundert Seiten stark sind und nicht nur zwei Seiten Projektvorstellung aus dem Internet. Insofern dürfte deren Urteil in den meisten Fälle fundierter und berechtigter sein als Deines.
Zitat:
Nun geht es aber mit der Freiheit der Entscheidung nicht ganz so einfach weiter, denn niemand bekommt vom Humangenetiker die Aussage: "Sie werden ganz sicher ein Kind mit folgenden Problemen haben", sondern man bekommt eine Wahrscheinlichkeit die oft nicht sehr viel über 50 % liegt.
Sollen Humangenetiker etwa deterministische Aussagen machen, obwohl sie nur probabilistische Zusammenhänge haben? Damit würden sie die Menschen doch belügen. Und dafür, dass wir der Wirklichkeit in vielen Fällen nur probabilistische Zusammenhänge entreißen könne, kann doch die Zunft der Humangenetiker nichts.
Zitat:
Ab diesem Punkt verabschiedet sich der HG und die Eltern (in deiner Argumentation sogar nur die Frau) kann sich überlegen, was sie damit anfangen soll.
Natürlich muss sie diese Entscheidung selbst treffen. Alles andere wäre das Bevormundung der übelsten Art.
Zitat:
Sie kann nicht eine Entscheidung treffen im Sinne von "ja oder nein" zu einem klar formulierten Problem, sondern sie muss über ein schon gedeihendes Leben in ihrem Körper ein Urteil fällen, das auf einer vagen Wahrscheinlichkeitsangabe, die mit zahlreichen Unsicherheiten behaftet ist, beruht.
1. Humangenetiker beraten nicht nur nach sondern auch vor der Zeugung. Insofern ist eine Frau, die sich erst nach der Zeugung von einem Humangenetiker beraten lässt, selbst schuld daran, dass sie mit einer Entscheidung über ein bereits "in ihr gedeihendes Leben" konfrontiert ist.
2. Sind nicht beinahe alle wichtigen Lebensentscheidungen mit Unsicherheiten behaftet? Wer erwartet, dass eine humangenetische Untersuchung alle Ungewissheiten beseitigt, tritt mit überzogenen Erwartungen an die Sache heran. Und es ist nicht die Schuld von Humangenetikern, dass sie diese Erwartungen enttäuschen müssen.
Zitat:
Hilfestellung bekommt sie dabei vor allem vom HG keine, denn der wird einen Teufel tun, sich in dieses Dilemma hinein zu begeben.
Wenn Humangenetiker Hilfestellung geben sollen, muss die Rechtslage geändert werden. Denn momentan dürfen Schwangerschaftskonfliktberatungen nur von anerkannten Stellen durchgeführt werden. Zwar können sich auch Ärzte als Schwangerenkonfliktberatungsstelle anerkennen lassen, aber wenn sie es täten, könnten die in den meisten wohl kaum noch ihrer Arbeit als Ärzte nachkommen. Außerdem muss sich Schwangerenkonflikt laut Gesetz "von dem Bemühem leiten lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen." (siehe §219 StGB). Noch ein Gesetz, gegen das großflächig verstoßen werden müsste, ehe Dein Horrorszenario, dass Frauen nach einem Gentest zur Abtreibung gedrängt werden, Realität werden kann.
Zitat:
wie viele Leute sind sich wirklich darüber klar, wie gefährlich eine Fruchtwasseruntersuchung ist,
Dazu gibt es sehr unterschiedliche Studien. Aber so wie es aussieht, ist das mal wieder so eine Sache, über die man, ohne den konkreten Einzelfall zu kennen, keine Aussagen treffen kann. Wie gefährlich so eine Fruchtwasseruntersuchung tatsächlich ist, hängt unter anderem davon ab, wie alt die Frau ist, ob es andere Schwangerschaftskomplikationen gegeben hat, ob sie schon eine oder mehrere Fehlgeburten hinter sich hat undundund
Wegen dieser Risiken wäre es Unfug, standardmäßig Fruchtwasseruntersuchungen machen zu lassen. Und meines Wissens werden Fruchtwasseruntersuchungen auch vor allem dann gemacht, wenn es Ultraschall Auffälligkeiten gegeben hat, oder aus anderen Gründen von irgendwelchen Vorbelastungen auszugehen ist. Außerdem könnte der Einwand, dass zu gefährlich ist, Fruchtwasser zu entnehmen, um einen Gentest durchzuführen, ohnehin in ein paar Jahren obsolet sein vgl. diesen Artikel auf SPIEGEL-Online.
Zitat:
Wie viele Leute lassen sie trotzdem machen, weil der schon der Frauenarzt in fast strafrechtlich relevanter Naivität erzählt: "es ist natürlich "sicherer", wenn sie alles heute Mögliche und Bekannte untersuchen lassen, denn dann können sie das "sicher" ausschließen." Kommen Frauen (sie sind nach deiner Meinung ja für sich verantwortlich) dem nicht nach, werden sie immer latent ein schlechtes Gefühl haben, denn es könnte ja etwas "schiefgehen" und sie hätten es ja anscheinend vorher erfahren können. Dass man als Ergebnis nur diffuse Wahrscheinlichkeiten bekommt, erfahren die Betroffenen erst hinterher.
Wieso habe ich nur den Eindruck, dass Du Dir hier ein Paradebeispiel schlechter Beratung zusammengeschustert hast, das wunderbar zu Deinem Argument passt und es deshalb kurzerhand mal eben allen Frauenärzten überstülpst, ohne zu wissen, wie verbreitet, das von Dir angeprangerte Verhalten tatsächlich ist? Was ist mit Frauenärtzen, die von Fruchtwasseruntersuchungen abraten, weil sie sie für zu riskant und zu wenig einsichtsreich halten? Die soll es ja auch geben. Abgesehen davon: Es gibt Sachen, die man nach einer Fruchtwasseruntersuchung wirklich sicher weiß. Z.B. ob das Kind eine Trisomie hat. Insofern ist gar nicht wahr, dass man als Ergebnis „nur diffuse Wahrscheinlichkeiten bekommt”. Es kommt darauf, worauf untersucht wird.
Ein Frauenarzt, der Sicherheit verspricht, wo es von vorneherein keine Sicherheit geben kann, begeht einen Kunstfehler. Die kommen vor, sind aber (hoffe ich zumindest) nicht die Regel. Wenn Du einem Frauenarzt nachweisen kannst, dass absichtlich falsch berät und Schwangeren bewusst ein schlechtes Gewissen macht, zeig ihn an! Solchen Typen gehört das Handwerk gelegt.
Bei den ganzen Schreckensgeschichten, die Du erzählst könnten Schwangere ja fast Angst bekommen, überhaupt zu einem Arzt zu gehen. Deshalb möchte ich sicherheitshalber an Folgendes erinnern: Als die unbetreute Schwangerschaft noch die Regel war, sind so viele Frauen an Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen gestorben sind, dass ihre Lebenserwartung deutlich unter der von Männern lag.
Zitat:
Das ist der "Outcome" von sehr vielen Jahren engagierter und unvorstellbar teurer Forschung, die eigentlich doch nur dazu dienen soll, die Lebensqualität von uns Menschen zu verbessern. Oder habe ich bei den Zielen der wissenschaftlichen Forschung etwas falsch verstanden?
Ja das hast Du. Das Ziel von Wissenschaft ist – wie der Name sagt – Wissen zu schaffen. Wenn das die Lebensqualität verbessert, ist das zwar durchaus willkommen, aber eher ein Abfallprodukt. Aber wenn man zurückblickt, hat der Forscherdrang der Menschheit deutlich mehr genutzt als geschadet. Und dass oft nützliche Anwendungen heraus kommen, hilft natürlich beim Einwerben von Geldern.