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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : marja ißt nicht mehr



marja
27.03.2006, 13:46
Hallo,
meine Tochter Marja ist jetzt 11 Monate und hat eine doppelseitige Lippen-Kiefer-Gaumenspalte. Zudem hat sie Epilepsie und eine psychomotorische Entwicklungsverzögerung.....keiner weiß warum.
Mit dem Habermannsauger konnte sie schon toll trinken und auch schon etwas Brei mit dem Löffel essen. Leider verweigert sie seid Februar ihr Essen, schreit sobald Nahrung in ihren Mund kommt.
Heute haben wir endlich herausgefunden, dass wirklich was nicht stimmt, wenn sie schluckt gelangt auch immer ein Teil der Nahrung in ihre Luftröhre

Hat jemand von euch ähnliche Erfahrungen gemacht?
Bin wirklich verzweifelt, denen schon über eine PEG nach.

Liebe Grüße Natascha mit Marja

A.Makdissi
27.03.2006, 21:02
Hallo Natascha,

es hört sich so an, als hätte Marja eine Schluckstörung - und sie scheint zu aspirieren (nahrung rutscht in die Luftröhre/Lungen). Da so etwas sehr gefährlich sein kann, rate ich euch, möglichst schnell mit eurem Azt darüber zu sprechen.
Leider kann ich aus der Ferne nicht sagen, was der Grund ist, aber wenn die Ursache nicht organisch bedingt ist, kann eine Ess- und Trinktherapie helfen (Logopäden suchen, der sich darauf spezialisiert hat). Hat sich denn im Februar irgendetwas ereignet/verändert?

Von einer Sonde (PEG) halte ich ehrlich gesagt nicht so viel, ausser es lässt sich gar nicht mehr vermeiden, denn durch die dann fehlende orale Nahrungsaufnahme/Reize verschlechtert sich nicht nur die Mundmuskulatur/Motorik, sondern auch die Sensibilität enorm - das wiederum beeinflusst das Sprechenlernen! Ich selber therapiere Kinder und Erwachsene mit Ess- und Schluckstörungen und weiß daher, wie mühsam es ist, von der Sonde wegzukommen....aber es lohnt sich immer :)

Liebe Grüße
Aila

marja
28.03.2006, 10:07
Hallo Aila,

danke für deine Antwort!

Marja hat im Februar Zähne bekommen, aber ansonsten hat sich da nichts geändert.

Wir sind wegen ihrere Krampfanfälle eh in der Klinik, aber wirklich helfen tut uns hier keiner ...in Bezug auf ihre Eßstörung. Sie schreit ganz fürchterlich wenn ich mit Brei oder Flasche ankomme. Sondiere sie jetzt eigentlich nur noch , da ich mir nicht vorstellen kann, dass Zwangsernährung auf Dauer gut ist.

Morgen werden wir noch in der ZMK vorbeischaun, vielleicht haben die ja noch eine Idee.

Kann eine Logopädin denn bei einem Kind das etwa auf dem Stand eines 2-3 monate alten Kindes ist schon was machen?

Liebe Grüße Natascha

marja
28.03.2006, 15:30
Hallo Kirsten!

Komme aus Schlewig-Hostein, aus Dithmarschen, also plattes Land und was logodäden usw angeht nicht wirklich dicht bevölkert:x
wäre toll, wenn du jemand in unserer Nähe wüßtest!

Danke Natascha

A.Makdissi
29.03.2006, 20:04
Ich selber arbeite auch mit so kleinen Kindern, allerdings solltest du genau nachfragen, ob der Therapeut sich darauf spezielisiert hat! Es kann daher schon ein bisschen dauern, bis man jemanden gefunden hat....

Wichtig: ihr braucht keine myofunktionelle Therapie, sondern eine Ess- und Trinktherapie bzw. Mund- und Esstherapie z.B. nach Bobath oder FOTT, denn das sind unterschiedliche Störungsbilder.
Wenn eure Kleine Epilepsie hat, ist es nicht unwahrscheinlich, dass dadurch auch noch andere "Störungen" entstehen wie eben eine Sensibilitätsstörung oder Schluckstörung.

Castillo Morales ist auch eine Möglichkeit, allerdings muss man bei Kindern mit Krampfanfällen oder Hirnschädigungen sehr aufpassen, denn man arbeitet mit Manipulation und Stimulation bestimmter Nerven und dies kann (wenn man Pech hat) auch Krampfanfälle auslösen - darum: immer genau nachhaken, ob der Therapeut sich mit kindlichen Schluckstörungen/Dysphagie auskennt!

Und lasst euch von den Ärzten nicht "abwimmeln", denn leider ist hier in Deutschland noch nicht wirklich viel bekannt, was Ess-und Trinktherapie bei Säuglingen und Kleinkindern angeht. Also, nicht aufgeben!

Liebe Grüße
Aila

A.Makdissi
30.03.2006, 21:53
Kein Angst Kirsten, du bist ganz bestimmt nicht doof ;)

Bei einer myofunktionellen Therapie geht es um die Korrektur/Verbesserung von fehlerhafter Kau-/Schluck- und Gesichtsmuskulatur.
Man versucht also, das Gleichgewicht der orofazialen Muskeln wieder herzustellen, sodass beim Schlucken die Zunge z.B. nicht mehr nach vorne zwischen den Zähnen durchdrückt (nennt man infantiles Schluckmuster - bei einem Säugling ist das normal).

Bei einer Ess- und Trinktherapie/Mundtherapie geht es um das Normalisieren/Verbessern der Nahrungsaufnahme, der oralen Sensibilität und Reflexe.
Damit verbunden ist natürlich auch die orofaziale Muskulatur, aber viel mehr wird am Schluckakt (abbeißen, kauen, runterschlucken), an der Mundsensibilität und an den Reflexen im Mundbereich gearbeitet.

Eine Dysphagie (Schluckstörung) kann z.B. durch Entzündungen, Tumore z.B. in der Speiseröhre, oder durch neurologische Erkrankungen (Erkrankungen der zuständigen Nervenbahnen/Hirnnervenkerne) entstehen.
z.B. Multiple Sklerose, Zerebralparese usw.

Ist das ein bisschen klarer geworden? Falls nicht - ich bin ja noch des öfteren hier :D

Liebe Grüße
Aila

A.Makdissi
01.04.2006, 14:08
Castillo ist wie Bobath oder FOTT eine "Methode" (die alle übrigens viele Aspekte aus Bobath übernommen haben). Welche davon die "Beste" ist kann keiner sagen, jeder Mensch ist ja anders und meist ist der lustige Mix die beste Lösung ;)

Wie du schon geschrieben hast, geht es C.M. darum, das orofaziale System wieder zu normalisieren/herzustellen, was natürlich auch die Sensibilität und die oralen Reflexe betrifft. Je nach Störung des Patienten werden dann bestimmte "Übungen" durchgeführt.
Es gibt allerdings Patienten, bei denen abgeraten wird, z.B. nach Morales zu behandeln. Wie schon geschrieben: bei hirngeschädigten Patienten, Wachkomapatienten usw. können Krampfanfälle ausgelöst werden. Dadurch das man Nerven manipuliert/stimuliert weiß man eben nie genau, wie das Gehirn darauf reagiert!



Aber vielleicht hilft eine Erklärung des Schluckvorganges, die Komplexität und den Unterschied besser zu verstehen...

Der Schluckakt wird in 4 Phasen eingeteilt:
1. Kauphase - man nimmt einen Bissen in den Mund, schließt die Lippen; beim Kauen schiebt die Zunge die Nahrung hin und her zwischen die Backenzähne, wo sie zermalmt wird. Die Geschmacksnerven analysieren die Nahrung, diese wird mit Speichel vermischt und zu einem Bolus (Ball) geformt.

2. orale Phase - der Nahrungsbolus wird in der Zungenmittelrille plaziert, die Zungenspitze hebt sich hinter die oberen Schneidezähne. Durch Lippenschluss und erhöhten Wangentonus entsteht im Mund ein Druck, der den Nahrungsbolus mit wellenförmiger Bewegung der Zunge nach hinten transportiert. Mit dem Druck des Zungenrückens nach hinten wird die Nahrung an den Gaumenbögen vorbei in den Rachen geschleudert.

Bis hierhin kann der Schluckvorgang willentlich unterbrochen werden! Und dies ist auch der Bereich, der bei einer oro-myofunktionellen Therapie behandelt wird.

3. pharyngeale Phase - durch die Berrührung der Zunge/Nahrung mit den Gaumenbögen wird der Schluckreflex ausgelöst, dies aktiviert folgende Schutzmechanismen: das Gaumensegel verschließt den Nasenraum nach oben, der Kehldeckel verschließt den Kehlkopfeingang, Stimmbänder schließen die Luftröhre und schützen uns davor, das wir uns verschlucken oder nahrung in die Lunge gelangt.

Gleichzeitig transportieren die Rachenmuskeln den Nahrungsbolus in wellenförmigen Bewegungen zum Eingang der Speiseröhre (Ösophagus). (Diese Muskelbewegungen funktionieren wie bei einer Boa constriktor)
Durch das Heben von Kehlkopf und Zungenbein entspannt und öffnet sich der Muskel, der die Speiseröhre sonst immer verschlossen hält.

4. ösophageale Phase - die Nahrung gelangt durch peristaltische Wellen in den Magen.



Wie man sieht, ist der Schluckakt ein komplexer Vorgang, der sämtliche Muskeln und Nerven miteinschließt. Bei einer Ess- und Trinkstörung werden alle 4 Phasen in die Therapie miteinbezogen (je nachdem, welcher Bereich betroffen ist).
Es gibt ganz verschiedene Übungen und Hilfsmittel, bestimmte Fähigkeiten neu zu erlenen oder zu verbessern. Für mich ist auch immer wichtig, das die Eltern/pflegende Angehörige als "Co-Therapeuten" mitarbeiten, denn schließlich sind sie diejenigen, die tagtäglich mit dem Kind/Erwachsenen essen und trinken usw. Natürlich erkläre und übe ich mit ihnen ganz genau, was sie machen sollen, und wie sie es tun müssen.
Bei C.M finde ich es schon schwieriger, denn für diese Methode und die Ausführung der Übungen sollte man eigentlich über ein sehr gutes anatomisches/neurologisches Wissen verfügen, da man ja -einfach ausgedrückt manuell in das Muskel und Nervensystem eingreift.

Also ich persönlich ziehe eine Zusammenarbeit immer vor (einige meiner kleinen Patienten bekommen nebenbei auch noch Castillo und ich tausche mich dann mit den anderen Therapeuten aus), da ich der Meinung bin, das eine Methode allein niemals alles abdecken kann.

So, jetzt habe ich viel mehr geschrieben als ich vorhatte :eek: Hoffentlich ist das alles noch gut zu verstehen?!?

Liebe Grüße
Aila

A.Makdissi
03.04.2006, 09:59
Guten Morgen Kirsten,

Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn du dir das ausdruckst. Bin ja selber immer ganz glücklich, wenn ich mal wieder einen guten Artikel oder eine gute Beschreibung entdecke, die reiße ich mir dann auch sofort unter den Nagel ;)

Ich habe leider keine Artikel mehr hier (vielleicht noch auf niederländisch-ich such mal), aber es gibt welche über die Vor- und Nachteile von C.M. (das gibt es eigentlich für fast jede Methode). Als ich noch studiert habe, war ich bei einer Disskusionsveranstaltung und da ging es auch um Castillo, Padovan, PNF und Bobath. Es ging um die Methoden selber, die Einsatzmöglichkeiten und auch um die Effekte und "Nebenwirkungen". Dort wurde eben auch erklärt, wie wichtig es sei, einen guten Therapeuten zu finden (der sich sehr gut mit dieser Methode auskennt und über neurologische Zusammenhänge), der eben über diese "Gefahren" wie z.B. mögliche Krampfanfälle Bescheid weiß.
Und nachteilig fand ich eben auch, dass man die Eltern kaum miteinbeziehen kann - das "medizinische" Wissen ist superwichtig und das "handling" muss schließlich auch gelernt sein...da hat man z.B. bei Bobath/FOTT einfach mehr Möglichkeiten.

Aber wie schon geschrieben: bei jedem Menschen wirkt etwas anderes, und jede Methode hat ihre Vor- und Nachteile.
Und mal ganz ehrlich...wenn man z.B. Castillotherapeut ist, ist man von dieser Methode überzeugt und wird nicht gerade gerne zugeben, dass diese auch nicht immer problemlos angewandt werden kann...oder? Wir sind schließlich alle nur Menschen....;)
Aber ich habe auch schon mit zwei Castillotherapeuten zusammengearbeitet, die selber bei den Patienten mit Hirnschädigungen sehr vorsichtig waren, eben weil sie wussten, das Manipulation bestimmter Nervenpunkte nicht ganz ungefährlich ist.

Liebe Grüße
Aila