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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Saugverhalten bei Flasche, Nucki und Brust



Nicole und Julia
25.11.2004, 13:38
Interdisziplinäre BDL-Fachtagung „Rund um die Geburt“Gelsenkirchen, am 14.05.2004
Gudrun von der Ohe, Ärztin und IBCLC, Niflandring 8, 22559 Hamburg, www.stillberatung.info

Saugen an Brust, Flasche und Schnuller– Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Die Auswirkungen der primären oralen Funktion – dem Saugen – sind weitreichend, bezogen auf die orofaziale Morphologie der Muskulatur im Gesichtsbereich. Die Morphologie des orofazialen Systems wird durch eine komplexe Wechselwirkung genetischer und exogener Faktoren bestimmt. Das bedeutet, dass das Heranwachsen der Zahnbögen und des Gesichtes im engen Zusammenhang mit den sie umgebenen Weichteilen und deren Funktion stehen.

Weichgewebe formt Hartgewebe, so der Kieferorthopäde J. Tränkemann von der Universität Hannover.
Das höchste Wachstumspotential innerhalb des Schädels hat der Gesichtsschädel, innerhalb des Gesichtsschädels der Ober- und Unterkiefer. Entscheidend ist somit die Muskulatur und deren Gebrauch innerhalb dieses Bereiches. Dabei ist entscheidend, dass am Beginn des extrauterinen Daseins die Muskulatur eine Prägung bei der Nahrungsaufnahme erfährt. Dabei spielt beim ernährungsbedingten Saugen die Dauer der Bewegungen eine untergeordnete Rolle, die Qualität ist entscheidend. Im Gegensatz dazu ist beim Einsatz des Beruhigungssaugers die Dauer der wesentliche Faktor, der über mehr oder weniger schädlich entscheidet.

Entscheidend für das Saugen ist der Buccinatormechanismus – der aus den zirkulären Muskeln gebildet wird: Lippenschließmuskel, Trompeter- oder Buccinator-Muskel sowie dem oberen Schlundschnürer. Zwischen dem M. buccinator und dem Kaumuskel liegt der Wangenfettpfropf, der beim Säugling besonders ausgeprägt ist und beim Saugen zum Stabilisieren der Wangen dient.

Beim Saugen müssen sich die Fasern des Buccinartors der Brust anpassen, die Spannung erhöht sich, die Wangen nähern sich der Mittellinie an und der intraorale Druck nimmt zu.

Saugen an der Brust:
Die Lippen liegen maximal geöffnet an der Brust und saugen sich an, alle Muskeln arbeiten zusammen. Die Kaumuskeln öffnen und schließen den Kiefer beim Saugen. Maximale Kieferöffnung und Annäherung des Ober- und Unterkiefers beanspruchen die Muskulatur und das Kiefergelenk intensiv. Der zurückliegende Unterkiefer wird nach vorne geschoben, in optimale Position zum Oberkiefer. Der Kinn-Muskel ist dabei nicht aktiv! Die Zunge liegt über der Kieferleiste und umfaßt die Brustwarze und den Warzenhof. Die Druckwelle wandert von der Zungenspitze nach hinten und leitet dort das Schlucken ein. dabei bewegt sie sich nicht von ihrer eingenommenen Stelle und übet nur einen Druck nach oben und hinten aus, nicht dagegen nach vorne.

Saugen an der Flasche:
Der Gebrauch der Muskulatur ist eher unphysiologisch. Ist der Sauger günstig – mit großer Lippenauflage, weichem Saugzapfen und kleinem Loch – können manche Kinder mit guter Anpassung ähnlich wie an der Brust saugen. Andere bringen das trotz günstigem Sauger nicht zustande. Meist ist jedoch der Sauger ungünstig, die Lippen liegen passiv um eine zu kleine Auflagefläche und bleiben inaktiv, der Kaumuskel wird kaum gebraucht, die Zunge liegt zu weit hinten und wird nach vorne gegen die Kieferleiste gedrückt. Der Kinn-Muskel kompensiert das ganze und ist aktiver, als es gut ist. Somit fehlen die physiologischen Wachstumskräfte, die formende Kraft fehlt. Das meist zu große Saugerloch führt zudem noch zu einer Schluckfehlfunktion.

Saugen am Schnuller:
Gerade wenn die Muskelbewegung zu kurz und zu wenig betätigt ist, stellen sich Lutschgewohnheiten ein. Egal, woran gesaugt wird – hier ist die Zeitdauer entscheidend. Es wird im Mund ein Raum geschaffen, der nicht vorhanden war, besonders wenn der Saugzapfen hart und unnachgiebig ist. Die Lippen werden schlaff, zudem unterstützt durch eine anliegende Schnullerplatte. Das Kind gibt weniger Laute von sich, ihm wird weniger geantwortet. Es kann seine Umgebung nicht oral erfassen und verkümmert in der Kommunikation. Der offene Mund führt zu günstigen Bedingungen für eine Keimbesiedlung des Mund-Rachenraumes, Infekte sind häufiger.
Von außen ähnlich – von der Funktion ganz unterschiedlich. Ich sehe nur, was ich weiß.

Umgang mit Flasche und Sauger heißt: So wenig wie möglich, so oft wie nötig, und jeweils die weniger schlechte Alternative. Der NUK-Sauger ist eine der schlechtesten Varianten, auch wenn er am meisten verbreitet ist. Die Mutterbrust sollte dabei in ihrer Beschaffenheit das biologische und physiologische Vorbild sein.

Literaturverzeichnis:
Bücher:
• Ruth A. Lawrence „ Breastfeeding – A guide for the medical profession “ 4. Auflage 1994
• La Leche League International „ The Breastfeeding Answer Book “ 2. Auflage 1997
• H. Brückner / H. Brückner „ Richtig Stillen “ 1. Auflage 1996
• A. Waldeyer /A. Mayet „ Anatomie des Menschen “ Teil 2 14. Auflage 1979
• Voss / Herrlinger „ Taschenbuch der Anatomie “ Band 3 16. Auflage 1981
• Patzer / Großmann / Braun „ Pädiatrie “ 2. Auflage 19981
• J. Riordan / K. G. Auerbach „ Breastfeeding and Human Lactation “ 1. Auflage 1993
• WHO „ Evidence for the ten steps to successful breastfeeding “
• Schauplatz Mund Berichte vom 11. Europ. Kongreß für Myofunkt. Therapie 1997, S. 41f
Zeitschriften:
• „ Laktation und Stillen “ 3/1995, 1/1996, 4/1998, 3/1999
• „ Sozialpädiatrie “ Heft 11-12/1998
• „ Breastfeeding Abstacts “ Heft Februar 1999, S. 4/ August 1999, S. 19
Techniker Krankenkasse 4/1998
Aufsätze:
• „ Braucht Ihr Kind einen Beruhigungssauger? “ LLLI 1974
• Hans-Georg Müller „Stillen und plötzlicher Kindstod“ Der Kinderarzt, 6/1979
• „ The effects of early pacifer use on breastfeeding duration“ Breastfeeding Abstracts, August 1999
• „ Bewegung beginnt im Liegen “ Hamburger Abendblatt vom 11.10.95
• „ Stillen, Gebrauch eines Schnullers und kindliche Entwicklung im Alter von 12 Monaten – eine
Kohortenstudie in Brasilien“ Paediatric and Perinatal Epidemiology 1997; 11, 441-450
• „ Breastfeeding, dummy use and adult intelligence “ Lancet 1996; 347
• „ Use of pacifiers and breatfeeding duration “ Lancet 1993; 341
• „ A pacifier increases the risk of reccurrent acute Otitis media in children in
day care centers “ Pediatrics Vol. 96 No. 5. November 1995
• „ Fakten zum Stillen “ der LLLI
• M. Furtenbach „Der Einfluß des Saugens an der Brust auf die orofaziale
Entwicklung des Sprechen“ VELB-Kongress 1999
• M. Furtenbach „Myofunktionelle Therapie (MFT) LATEST NEWS“ 2/2000, 6/2000, 11/2000, 3/2001
• „Das Stillen des Säuglings aus zahnärztlicher Sicht“ von U. Niekusch ZWR, 97. Jahrg. 1988, Nr. 12
• „Breastfeeding: Reducing the Risk for Obstructive Sleep Apnea“ Breastfeeding Abstracts, Februar 1999
• „Oral Aversion in the Breastfed Neonate“ Breastfeeding Abstracts, August 1999
• „The effects of early pacifer use on breastfeeding duration“ Breastfeeding Abstracts, August 2000
• „Stillen als Prävention in der Logopädie“ C. Schallhammer „Laktation und Stillen“ 2/01