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Anonymous
14.09.2004, 20:36
Mikrochirurgie erleichtert den Start ins Leben
"Medizin hautnah" zu Gast im Klinikum Nord - eine gemeinsame Aktion des LBK Hamburg und der WELT
von Gisela Schütte

Jasper ist vier Wochen alt. Er weint, er hat Hunger. Sein Vater Jens Ristau gibt ihm die Flasche. Jasper trinkt. Das ist für ihn schwieriger als für andere Babys, denn in seiner Lippe klafft eine Lücke: Der kleine Jasper wurde mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (LKG) geboren. Die Fehlbildung ist bei den kleinen Kindern nicht nur entstellend, sondern sie erschwert auch die Nahrungsaufnahme, weil Mund- und Rachenraum miteinander verbunden sind. Die Kinder können nicht saugen.


Die Abteilung für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie im Klinikum Nord, Betriebsteil Heidberg, ist auf die Behandlung dieser Fehlbildung spezialisiert. Bei Medizin hautnah erklären Chefarzt Professor Thomas Kreusch und sein Team den WELT-Lesern, wie die kleinen Patienten stufenweise so versorgt werden, dass man im Erwachsenenalter von dem Defekt dank modernster Operationsmethoden und chirurgischer Erfahrung nichts mehr sieht.


Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalten gibt es in unzähligen Variationen, referiert Kreusch, schmaler oder breiter, rechts, links oder doppelt, in der Lippe, im Kiefer oder im Gaumen oder durchgängig. Das Problem der Fehlbildung liegt nicht nur in der Ästhetik, sondern auch in massiven Funktionsstörungen bei der Nahrungsaufnahme, beim Sprechen und Hören.


Für die Behandlung gibt es eine schrittweise Strategie. Nach der Geburt bekommen die Neugeborenen eine so genannte Trinkplatte angepasst, die den Mund- gegen den Nasenraum abschließt. Jetzt können die Babys, wenn die Mutter ein wenig Geduld hat, sogar an der Brust trinken. Im Alter zwischen drei und sechs Monaten wird die Lippe geschlossen und die Nase, die meistens schief steht, erstmals korrigiert. Jetzt ist von der Fehlbildung von außen schon fast nichts mehr zu sehen. Im ersten bis zweiten Lebensjahr folgt dann die Gaumenoperation. Zwischen dem achten bis zwölften Lebensjahr muss die Kieferspalte geschlossen und die Zahnreihe komplettiert und begradigt werden. Und vom 16. Lebensjahr an schließt eine Korrektur der Nase im Hinblick auf die Funktion die Behandlung ab. Alle Eingriffe, betont Kreusch, "müssen unter dem Operationsmikroskop durchgeführt werden. Die besondere Schwierigkeit: Das Ergebnis sieht man erst nach Jahren." Die Patienten in Heidberg kommen aus dem gesamten norddeutschen Raum und aus Gebieten weit in andere Bundesländer hinein.


Natürlich ist es für die Eltern zunächst ein Schock, wenn sie nach der Geburt sehen, dass ihr Baby nicht so perfekt aussieht, wie sie das vielleicht erträumt haben. Kathrin und Jens Ristau hatten keine Ahnung, dass ihr kleiner Jasper eine Fehlbildung haben würde. "Die Ärzte im Krankenhaus haben uns sehr gut informiert und uns sofort den Kontakt nach Heidberg hergestellt, sagt Jaspers Mutter. Die Sicherheit, dass man den Defekt beheben kann, beruhigt. Deshalb sind die Eltern gekommen, um bei Medizin hautnah über ihre Erfahrungen zu berichten. Für Jasper, der sich prächtig entwickelt hat, und bei seinem Auftritt für die WELT-Leser zwei ganze Fläschchen verputzt, steht demnächst die erste Operation an. Die einjährige Laura ist mit ihren Eltern Gabi und Stefan Bruhsi aus Neustadt an der Ostsee zu den Ärzten gekommen, die sie über Jahre betreuen werden. Bei ihr ist schon der Gaumen geschlossen. Von der Naht an der Lippe sieht man fast nichts mehr.

Und Kerstin Foth hat alle Mühe, ihrem anderthalbjährigen Sohn Jan die Langeweile zu vertreiben, bis er endlich zeigen darf, dass das Heidberger Team sein Handwerk prima versteht.


Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sind die häufigste Fehlbildung bei Kindern, sagt Kreusch. Statistisch kommt ein Fall auf 500 Geburten vor. Ursache für die Fehlbildung ist, dass die Gesichtsteile im Mutterleib nicht zusammenwachsen. Die Gründe sind nicht bekannt. Allerdings treten die Spalten in manchen Familien gehäuft auf.


Seit Kreusch im Jahr 2000 nach Heidberg kam, hat das Haus die Spezialität kontinuierlich ausgeweitet. In der LKG-Sprechstunde des Klinikums Nord werden inzwischen 221 Kinder betreut. Vor drei Jahren waren es noch weniger als 50.


Der Behandlungserfolg ist ein Resultat von Teamarbeit. In Heidberg arbeiten die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen eng mit den HNO-Ärzten und natürlich mit den Kinderärzten zusammen, die wiederum im Rahmen eines Perinatalzentrums tätig sind. 2000 Babys kamen hier im vergangenen Jahr auf die Welt, berichtete Kinderarzt Dr. Thomas Schneider. Dass auch die Ohrenärzte bei der Behandlung beteiligt sind, hat damit zu tun, dass bei Spaltkindern auch die Verbindung zu den Ohren korrigiert werden muss, erklärt Dr. Helfried Schade.


Eine wichtige Rolle im Team spielt die Stillberaterin Thea Juppe-Schütz. Sie zeigt den jungen Müttern, wie sie die Kinder trotz der Fehlbildung mit ein wenig Geduld nähren können. "Das ist wichtig, weil es die Bindung zum Kind festigt."


Artikel erschienen am 14. Mai 2004

hier der Link


http://www.welt.de/data/2004/05/14/277569.html?s=2