Anonymous
01.08.2004, 18:21
Zusammenfassung
Lippen-Kiefer-Gaumenspalten gehören zu den häufigen Fehlbildungen und führen zu Funktionsstörungen in verschiedenen Bereichen wie der Ästhetik des Gesichts, der Sprache, der Nahrungsaufnahme, der Atmung und des Gehörs. Daraus leitet
sich die Notwendigkeit einer Betreuung durch Spezialisten verschiedener Fachgebiete ab. Um eine zielgerichtete und kontinuierliche Entwicklung der Kinder zu garantieren, hat sich die
Etablierung von „Spalt-Zentren“ bewährt. Wichtig ist eine frühzeitige und umfassende Information der Eltern, da nur mit ihnen gemeinsam das Behandlungsziel, nämlich die vollständige Rehabilitation der Kinder noch vor der Einschulung erreicht werden kann. Über das Behandlungskonzept des Spalt-Zentrums am Universitätsklinikum Dresden soll dieser Artikel informieren.
Schlüsselwörter: kraniofaziale Anomalie, Lippen-Kiefer-
Gaumenspalten, Spalt-Zentrum
W. Pradel1, R. Müller2, G. Lauer1, E. Eckelt1
Das interdisziplinäre Behandlungskonzept von
Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten
am Universitätsklinikum Dresden TU Dresden
Medizinische Fakultät
1 Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Universitätsklinikum Dresden
2 Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-Ohrenheilkunde
Universitätsklinikum Dresden
Lippen-Kiefer-Gaumenspalten zählen zu den häufigsten Fehlbildungen und entstehen zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft. Zwischen der 5. und 7. Woche bilden sich alleinige Lippen und Kieferspalten, zwischen dem 2. und 3. Monat der Schwangerschaft treten Gaumenspalten auf.
In dieser Zeit wachsen einzelne Bereiche des Gesichts zusammen.
Abhängig vom Zeitpunkt einer Störung kommt es zu einer mehr oder weniger unvollständigen Vereinigung der Gaumenfortsätze bzw. der Oberkiefer- und Nasenfortsätze, so dass verschiedene Spaltformen entstehen
Die Ursachen für die Spaltentstehung sind heute im einzelnen noch nicht genau bekannt.
Es wird von einer multifaktoriellen Genese ausgegangen, bei der das Zusammentreffen exogener Faktoren (Mangelernährung, Stoffwechsel- und endokrinologische Erkrankungen, Sauerstoffmangel, ionisierende Strahlung, Vitaminmangel oder -überdosierung) und endogener Faktoren eine Rolle spielt. Eine erbliche Disposition ist von Bedeutung, wenn bereits Lippen-Kiefer-Gaumenspalten in der Familie bekannt sind. Unabhängig davon empfehlen wir allen Eltern
von Spaltkindern eine genetische Beratung. Nach neueren Erkenntnissen kann eine Reduktion des Wiederholungsrisikos von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten durch eine gezielte Familienplanung und die prophylaktische Gabe von Vitamin BKomplex und Folsäure bereits vor der Konzeption bis zum 3. Schwangerschaftsmonat erzielt werden.
Entsprechend des zeitlich versetzten Ablaufs der Entwicklung von Lippe, Kiefer und Gaumen und der Art, Schwere und des Zeitpunkts einer einwirkenden Störung im Verlauf der Schwangerschaft gibt es verschiedene Ausprägungsgrade und Formen der Spaltbildungen. Es kann nur die Lippe betroffen sein, oder Lippe und Kiefer oder nur der Gaumen. Hier wird noch in Spalten des harten und/ oder weichen Gaumens unterschieden. Die Maximalvariante ist die sogenannte durchgehende Spalte, bei der alle Abschnitte in die Spaltbildung einbezogen sind. Die Inzidenz von Lippen-Kiefer- Gaumenspalten ist 1:500 Geburten, wobei meist Jungen und die linke Seite bevorzugt sind. Isolierte Spalten des harten und weichen Gaumens sind mit 1:1500 Geburten wesentlich seltener und treten häufiger bei Mädchen auf. Die Spalte kann einseitig oder doppelseitig gelegen und unvollständig oder vollständig sein. Im Bereich des weichen Gaumens treten submuköse Spalten auf, deren Therapie für die Vermeidung von Sprachstörungen aufgrund einer velaren Insuffizienz und Tubenbelüftungsstörungen notwendig ist.
Das Behandlungskonzept
Die Spaltbildungen stellen eine schwere Beeinträchtigung des Kindes in ästhetischer und funktioneller Hinsicht dar. Die Störungen erstrecken sich auf die Ästhetik und Funktion des Mittelgesichts, die Bildung der Sprachlaute, die Funktion der Nahrungsaufnahme, der Atmung und
des Gehörs. Daraus leitet sich ab, dass die optimale Behandlung der Kinder nur durch die enge Zusammenarbeit einer Reihe von Spezialisten möglich ist. Zum interdisziplinären Behandlungsteam, welches in unserer Einrichtung die sogenannte „Spaltsprechstunde“ durchführt, gehören neben dem Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen als Hauptverantwortlichen der Hals-Nasen-Ohrenarzt, der Kieferorthopäde und der Logopäde. Der Kinderarzt, der Humangenetiker und der Zahnarzt erweitern das Team. Neben der gemeinsamen Festlegung der Operationszeitpunkte werden Kontrolltermine in bestimmten Abständen vereinbart, um die Entwicklung des Kindes zu verfolgen und um rechtzeitig zum Beispiel mit einer kieferorthopädischen oder logopädischen Therapie zu beginnen. Ziel ist es, spätestens zur Einschulung alle Voraussetzungen zu schaffen, um die weitere ungestörte Entwicklung des Kindes in normaler Schulumgebung zu gewährleisten, wobei keine Unterschiede zu gleichaltrigen Mitschülern an die angeborene Spaltbildung erinnern sollen.
Wichtig ist eine frühzeitige Vorstellung des Kindes und seiner Eltern bei einem Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen, was möglichst in den ersten Lebenstagen erfolgen sollte. Wir sind auch gern bereit, die entsprechende geburtshilfliche Klinik aufzusuchen und mit den Eltern über das Krankheitsbild und die notwendigen Behandlungen zu sprechen.
Wurde bereits im Rahmen der pränatalen Sonographie eine Spaltbildung im Kiefer- Gesichtsbereich festgestellt, empfehlen wir eine Beratung der Betroffenen in einem Spaltzentrum. Die bei einer solchen Diagnose entstehenden Ängste und Fragen lassen sich nach unserer Erfahrung nur durch eine kompetente Beratung abbauen und den betroffenen Eltern kann schon lange vor der Geburt Hilfestellung
bei der emotionalen Akzeptanz ihres Kindes gegeben werden.1. Operative Verfahren In den letzten Jahren haben sich die Operationstechniken sehr stark verfeinert, so dass ästhetisch immer bessere Ergebnisse erzielt werden können. Bei den meisten Spaltformen ist jedoch nicht der gleichzeitige Verschluss aller Spaltabschnitte möglich und sinnvoll, so dass abhängig vom Schweregrad der Erkrankung oft mehrere Operationen erforderlich sind. Reihenfolge und Zeitpunkt der Einzeloperationen sind an den verschiedenen Behandlungszentren unterschiedlich. Um eine gezielte kontinuierliche Entwicklung des Kindes zu sichern, sollte ein Wechsel des Behandlungsteams nur aus gewichtigen Gründen erfolgen. Die Therapie beginnt bei allen Spaltformen mit Lippenbeteiligung mit der Lippenplastik.in Dresden wird diese wie auch in andern Krankenhäusern mit 4-6 Monaten durchgeführt. Hierbei erfolgt die genaue anatomische Rekonstruktion aller gespaltenen Anteile, dass heißt der Schleimhaut unter Bildung eines Mundvorhofs, des Musculus orbicularis oris und der äußeren Haut. Dabei wird auch
der Nasenboden gebildet und der Naseneingang geformt. Um den zur Seite verlagerten Nasenflügel in eine anatomisch korrekte Position zu bringen, wird nach subperiostaler Präparation die paranasale Muskulatur gelöst und die Nasenknorpel mobilisiert, um sie anschließend in der neuen Lage zu fixieren. Das Vorgehen ist bei vollständigen und unvollständigen Lippenspalten ähnlich. In unserer Einrichtung wird für die Lippenplastik der Wellenschnitt nach PFEIFER verwendet.
Unterschiede in der operativen Therapie der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten bestehen vor allem bei der Methodik und der Zeitwahl der Gaumenplastik. Man unterscheidet dabei ein einzeitiges Vorgehen (Verschluss des harten und weichen Gaumens in einer Operation mit 9 - 12 Monaten) von einem zweizeitigen Vorgehen (Verschluss des weichen Gaumens mit 9 - 12 Monaten und danach Verschluss des harten Gaumens mit 2 - 3 Jahren). Es besteht jedoch eine Diskrepanz zwischen einer möglichst frühzeitigen funktionellen Rekonstruktion für eine ungehinderte Sprachentwicklung.
Und den gegebenenfalls auftretendenWachstumsstörungen im Kiefer-Gesichtsbereichaufgrund der Narbenbildungen am Gaumen. Die Wahl des Operationsverfahrenshängt von den individuellenGegebenheiten wie der Spaltform oder-breite ab. Ziel ist die Trennung von Mund- und Nasenhöhle und die Rekonstruktion des Ringmuskelsystems des weichen Gaumens und des Rachens um einen dichten Abschluss zu erreichen und die Belüftung des Mittelohres zu gewährleisten. Zunächst wird die nasale und die orale Schleimhaut vom knöchernenGaumen gelöst. Zur Bildung der Nasengänge werden die nasalen Blätter mit der Schleimhaut des Vomer vereinigt. Die palatinale Schleimhaut wird im Sinne eines Brücken- oder Stiellappens nach medial verlagert und dicht verschlossen. Im Bereich des weichen Gaumens muss die fehlinserierende Muskulatur vom Hinterrand des knöchernen Gaumens abgelöst und in anatomisch korrekter Verlaufsrichtung vereinigt werden, um ein ausreichend langes Gaumensegel zu erzielen und durch den Muskelzug die Öffnung der Tuba auditiva zu ermöglichen.
Die Kieferspalte im Bereich des Alveolarkammes wird zu einem späteren Zeitpunkt verschlossen. Die genaue Festlegung des Operationstermins erfolgt in gemeinsamer Absprache mit dem Kieferorthopäden in der Spaltsprechstunde, da im selben Eingriff eventuell überzählige oder versprengte Zähne mit entfernt werden müssen. Wir empfehlen die Kieferspaltosteoplastik kurz vor dem Durchbruch des bleibenden Eckzahnes (8. - 11. Lebensjahr),
der dann in die Lücke bewegt werden kann und ein knöchernes Lager vorfindet. Für die Osteoplastik werden Spongiosa- Zylinder über einen kleinen Schnitt aus dem Beckenkamm entnommen und in die Kieferspalte transplantiert . Vor der Einschulung mit ca. 6 Jahren sind die meisten Kinder mit Lippen-Kiefer- Gaumenspalten vollständig rehabilitiert, d.h. es liegt ein unauffälliges Äußeres vor, Hören und Sprechen sind wie bei den Gleichaltrigen. Bei wenigen Kindern verbleibt in seltenen Fällen trotz exakter Rekonstruktion der Muskelschlinge am weichen Gaumen und trotz der logopädischen Therapie ein offenes Näseln, da die Abschlussfunktion des Gaumensegels unzureichend ist. Hier empfiehlt sich eine sprachverbessernde Operation (Velopharyngoplastik).Dabei wird ein kranial oder kaudal gestielter Schleimhaut-Muskel-Lappen aus der Rachenhinterwand in dasGaumensegel eingelagert und eine Verlängerung des Velums bewirkt.
Bei schweren doppelseitigen Spalten verbleibt gelegentlich ein zu kurzer Nasensteg mit einer abgeflachten Nasenspitze. Mittels einer sogenannten Gabellappenplastik kann unter Nutzung der vorhandenen Narben in der Oberlippe der Nasensteg verlängert und die Basis der Nasenflügel nach medial gebracht werden. Diese Korrekturen sollten jedoch erst nach Abschluss des Wachstums (16. - 18. Lebensjahr) durchgeführt werden. In manchen Fällen verbleiben deutlichere Narben oder ein Schleimhautüberschuss in der Oberlippe, was vor der Einschulung noch korrigiert werden kann. Nur bei sehr wenigen Patienten kommt es aufgrund der Wachstumshemmung zu einer unzureichenden Entwicklung des Mittelgesichts.Mit kieferörtopädischen Lösungen ist es dann nicht mehr möglich das harmonisches Größenverhältnis von Oberund Unterkiefer zu schaffen, so dass nach Abschluss des Wachstums eine operative Bisslagekorrektur notwendig wird. Nach entsprechender kieferorthopädischer Vorbehandlung zur Ausformung der Zahnbögen erfolgt dann eine Vorverlagerung des Oberkiefers und gegebenenfalls zusätzlich eine Rückverlagerung des Unterkiefers, um eine normale Verzahnung zu erzielen.
Da die Oberkiefervorverlagerung sich aufgrund der Narben nach den Operationen
zum Spaltverschluss in manchen Fällen schwierig gestalten kann, kommt als alternatives Verfahren die Osteodistraktion zur Anwendung.
2.Kieferorthopädische Behandlung
Besonders wichtig ist die gemeinsame Betreuung durch den Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen
und den Kieferorthopäden bei Kindern mit Spaltbildungen des harten
Gaumens. Die Nahrungsaufnahme ist bei breiten Spaltformen erheblich beeinträchtigt, da Flüssigkeit in die Nase übertreten kann. Hier sollte eine sogenannte Trinkplatte eingesetzt werden, die die Mundhöhle von der Nasenhöhle rennt. Außerdem wird verhindert, dass sich die Zunge weiterhin unwillkürlich in die Gaumenspalte legt. Eine Normalisierung der Zungenfunktion ist günstig für die Entwicklung einer regelrechten Lautbildung. Die Platte bewirkt außerdem eine Steuerung der wachsenden Kieferanteile. Die Anfertigung erfolgt durch den Kieferorthopäden möglichst schon innerhalb der ersten 10 Lebenstage, da sich die Kinder in dieser Zeit sehr leicht daran gewöhnen. Wenn bei den regelmäßigen Kontrolluntersuchungen Zahn- oder Kieferfehlstellungen festgestellt werden,
ist eine weitere kieferorthopädische Behandlung erforderlich. Das erfolgt dann mit herausnehmbaren oder festsitzenden Apparaturen und kann mehrere Jahre dauern.
3.Gehör und Sprache
Aufgrund von Spaltbildungen im Bereich besonders des weichen Gaumens kann
es durch den fehlenden Muskelzug auf die Tuba auditiva zu Tubenbelüftungsstörungen
kommen. Folge davon können Paukenergüsse und Mittelohrentzündungen
mit späterer Schwerhörigkeit sein. Um das zu verhindern, werden die Kinder in der Spaltsprechstunde regelmäßig von einem Hals-Nasen-Ohrenarzt untersucht und Hörprüfungen durchgeführt. Sollte sich die Indikation für eine Parazentese oder Paukendrainage ergeben, so können diese Eingriffe gleichzeitig zum Beispiel mit der Lippenplastik durchgeführt werden.
Auch die Entfernung adenoider Vegetationen macht sich manchmal erforderlich, um eine regelrechte Nasenatmung zu gewährleisen und schlafbedingten Atemstörungen vorzubeugen. Ein normales Hörvermögen ist die Voraussetzung für eine regelrechte sprachliche Entwicklung. Bei einer unbemerkten Hörstörung kann es zu einer verzögerten, nicht altersgerechten Sprachentwicklung kommen. Da bei der Lippen-Kiefer-Gaumen- Segel-Spalte auch die Sprechwerkzeuge betroffen sind und mitunter das problemlose Zusammenspiel der Lippen, Zungen- und Gaumensegelmuskulatur beeinträchtigt ist, treten Störungen der Lautbildung, Sprachentwicklung und des Stimmklanges auf. Vor- und rückverlagerte Artikulation und Rhinophonia aperta werden dann beobachtet. Deshalb sollte beim Phoniater und Logopäden eine regelmäßige Kontrolle erfolgen, um rechtzeitig mit einer myofunktionellen Therapie und einer Sprachübungsbehandlung beginnen zu können. Regelmäßige Nachuntersuchungen, später in jährlichem Abstand meist im Geburtsmonat, in unserer interdisziplinären Spaltsprechstunde sind zur Kontrolle der Entwicklung von Wachstum, Sprache und Gehör unbedingt erforderlich. Daneben ist eine konstante zahnärztliche Betreuung notwendig, da besonders im Milchgebiss eine erhöhte Kariesanfälligkeit besteht und vorzeitiger Zahnverlust Wachstumsstörungen der Kiefer begünstigen kann. Von besonderer Bedeutung sind sämtliche Maßnahmen zur Kariesprävention wie gesunde Ernährung, sorgfältige Zahnpflege, Gabe von Fluortabletten und lokale Fluoridapplikation. Spaltbildungen stellen in der Regel nur eine vorübergehende Beeinträchtigung dar. Vom Gesetzgeber wird mit der Festlegung des „Grades der Behinderung“ (GdB) eine Möglichkeit geschaffen, um zusätzliche finanzielle Belastungen für die Betroffenen auszugleichen. Der GdB wird auf Antrag der Eltern beim zuständigen Versorgungsamt des Heimatortes festgelegt.
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Winnie Pradel Klinik und Poliklinik für Mund-,Kiefer- und Gesichtschirurgie Universitätsklinikum
Carl Gustav Carus Dresden
Fetscherstraße 74
01307 Dresden
Tel.: 0351 458 2448, Fax: 0351 458 5382
Email: winnie.pradel@mailbox.tu-dresden.de
Kommentar Prof. em. Dr. Dr. Barbara Langanke,
Markkleeberg: Die Inzidenz der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten ist in den letzten Jahrzehnten in Mitteleuropa deutlich gestiegen.
Die Behandlung der betroffenen Kinder und Jugendlichen stellt ein echtes interdisziplinäres Anliegen dar. Dabei sollten die Vertreter der beteiligten Disziplinen sowohl entsprechende Kenntnisse mitbringen als auch Einfühlungsvermögen in die jeweilige spezielle Problematik des anderen Fachgebietes entwickeln, um ein funktionell und ästhetisch optimales Ergebnis für die Patienten zu erzielen. In diesem Sinne wurde bereits Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre die Klinik für Plastische und Wiederherstellende Kiefer- und Gesichts-Chirurgie Thallwitz für die komplexe Behandlung von Patienten mit Lippen- Kiefer-Gaumenspalten und weiteren Anomalien des Gesichtsschädels ausgebaut. In Deutschland ist dieses Grundprinzip an zahlreichen, nicht nur universitären medizinischen Einrichtungen realisiert worden, so dass die Behandlung dieser Fehlbildungen ein hohes Niveau erreicht hat.
Mit der Auflösung der Spezialklinik in Thallwitz im Jahre 1994 ergab sich trotz
des Übernahmeangebots an die Patienten durch die Klinik für Mund-, Kiefer- undplastische Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums Leipzig die Notwendigkeit der dezentralen Fortführung der interdisziplinären Behandlung der Betroffenen. Entsprechend wurden 1994 an der Universitätsklinik in Leipzig, 1995 in Dresden sowie am Klinikum Chemnitz gGmbH Spezialsprechstunden für die betroffenen Patienten unter Leitung der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen mit Beteiligung der Fachgebiete Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde einschließlichmder Logopädie, der Kieferorthopädie, der Pädiatrie und im Einzelfall der Humangenetik etabliert. Da aber auch andere nicht direkt beteiligte Ärzte/Fachärzte mit Problemen von Patienten mit LKG-Spaltbildungen konfrontiert werden, erfüllt die vorliegende Arbeit ein wichtiges Anliegen des „Ärzteblatt Sachsen“ – die Information und Fortbildung der Ärzteschaft.
Lippen-Kiefer-Gaumenspalten gehören zu den häufigen Fehlbildungen und führen zu Funktionsstörungen in verschiedenen Bereichen wie der Ästhetik des Gesichts, der Sprache, der Nahrungsaufnahme, der Atmung und des Gehörs. Daraus leitet
sich die Notwendigkeit einer Betreuung durch Spezialisten verschiedener Fachgebiete ab. Um eine zielgerichtete und kontinuierliche Entwicklung der Kinder zu garantieren, hat sich die
Etablierung von „Spalt-Zentren“ bewährt. Wichtig ist eine frühzeitige und umfassende Information der Eltern, da nur mit ihnen gemeinsam das Behandlungsziel, nämlich die vollständige Rehabilitation der Kinder noch vor der Einschulung erreicht werden kann. Über das Behandlungskonzept des Spalt-Zentrums am Universitätsklinikum Dresden soll dieser Artikel informieren.
Schlüsselwörter: kraniofaziale Anomalie, Lippen-Kiefer-
Gaumenspalten, Spalt-Zentrum
W. Pradel1, R. Müller2, G. Lauer1, E. Eckelt1
Das interdisziplinäre Behandlungskonzept von
Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten
am Universitätsklinikum Dresden TU Dresden
Medizinische Fakultät
1 Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Universitätsklinikum Dresden
2 Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-Ohrenheilkunde
Universitätsklinikum Dresden
Lippen-Kiefer-Gaumenspalten zählen zu den häufigsten Fehlbildungen und entstehen zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft. Zwischen der 5. und 7. Woche bilden sich alleinige Lippen und Kieferspalten, zwischen dem 2. und 3. Monat der Schwangerschaft treten Gaumenspalten auf.
In dieser Zeit wachsen einzelne Bereiche des Gesichts zusammen.
Abhängig vom Zeitpunkt einer Störung kommt es zu einer mehr oder weniger unvollständigen Vereinigung der Gaumenfortsätze bzw. der Oberkiefer- und Nasenfortsätze, so dass verschiedene Spaltformen entstehen
Die Ursachen für die Spaltentstehung sind heute im einzelnen noch nicht genau bekannt.
Es wird von einer multifaktoriellen Genese ausgegangen, bei der das Zusammentreffen exogener Faktoren (Mangelernährung, Stoffwechsel- und endokrinologische Erkrankungen, Sauerstoffmangel, ionisierende Strahlung, Vitaminmangel oder -überdosierung) und endogener Faktoren eine Rolle spielt. Eine erbliche Disposition ist von Bedeutung, wenn bereits Lippen-Kiefer-Gaumenspalten in der Familie bekannt sind. Unabhängig davon empfehlen wir allen Eltern
von Spaltkindern eine genetische Beratung. Nach neueren Erkenntnissen kann eine Reduktion des Wiederholungsrisikos von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten durch eine gezielte Familienplanung und die prophylaktische Gabe von Vitamin BKomplex und Folsäure bereits vor der Konzeption bis zum 3. Schwangerschaftsmonat erzielt werden.
Entsprechend des zeitlich versetzten Ablaufs der Entwicklung von Lippe, Kiefer und Gaumen und der Art, Schwere und des Zeitpunkts einer einwirkenden Störung im Verlauf der Schwangerschaft gibt es verschiedene Ausprägungsgrade und Formen der Spaltbildungen. Es kann nur die Lippe betroffen sein, oder Lippe und Kiefer oder nur der Gaumen. Hier wird noch in Spalten des harten und/ oder weichen Gaumens unterschieden. Die Maximalvariante ist die sogenannte durchgehende Spalte, bei der alle Abschnitte in die Spaltbildung einbezogen sind. Die Inzidenz von Lippen-Kiefer- Gaumenspalten ist 1:500 Geburten, wobei meist Jungen und die linke Seite bevorzugt sind. Isolierte Spalten des harten und weichen Gaumens sind mit 1:1500 Geburten wesentlich seltener und treten häufiger bei Mädchen auf. Die Spalte kann einseitig oder doppelseitig gelegen und unvollständig oder vollständig sein. Im Bereich des weichen Gaumens treten submuköse Spalten auf, deren Therapie für die Vermeidung von Sprachstörungen aufgrund einer velaren Insuffizienz und Tubenbelüftungsstörungen notwendig ist.
Das Behandlungskonzept
Die Spaltbildungen stellen eine schwere Beeinträchtigung des Kindes in ästhetischer und funktioneller Hinsicht dar. Die Störungen erstrecken sich auf die Ästhetik und Funktion des Mittelgesichts, die Bildung der Sprachlaute, die Funktion der Nahrungsaufnahme, der Atmung und
des Gehörs. Daraus leitet sich ab, dass die optimale Behandlung der Kinder nur durch die enge Zusammenarbeit einer Reihe von Spezialisten möglich ist. Zum interdisziplinären Behandlungsteam, welches in unserer Einrichtung die sogenannte „Spaltsprechstunde“ durchführt, gehören neben dem Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen als Hauptverantwortlichen der Hals-Nasen-Ohrenarzt, der Kieferorthopäde und der Logopäde. Der Kinderarzt, der Humangenetiker und der Zahnarzt erweitern das Team. Neben der gemeinsamen Festlegung der Operationszeitpunkte werden Kontrolltermine in bestimmten Abständen vereinbart, um die Entwicklung des Kindes zu verfolgen und um rechtzeitig zum Beispiel mit einer kieferorthopädischen oder logopädischen Therapie zu beginnen. Ziel ist es, spätestens zur Einschulung alle Voraussetzungen zu schaffen, um die weitere ungestörte Entwicklung des Kindes in normaler Schulumgebung zu gewährleisten, wobei keine Unterschiede zu gleichaltrigen Mitschülern an die angeborene Spaltbildung erinnern sollen.
Wichtig ist eine frühzeitige Vorstellung des Kindes und seiner Eltern bei einem Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen, was möglichst in den ersten Lebenstagen erfolgen sollte. Wir sind auch gern bereit, die entsprechende geburtshilfliche Klinik aufzusuchen und mit den Eltern über das Krankheitsbild und die notwendigen Behandlungen zu sprechen.
Wurde bereits im Rahmen der pränatalen Sonographie eine Spaltbildung im Kiefer- Gesichtsbereich festgestellt, empfehlen wir eine Beratung der Betroffenen in einem Spaltzentrum. Die bei einer solchen Diagnose entstehenden Ängste und Fragen lassen sich nach unserer Erfahrung nur durch eine kompetente Beratung abbauen und den betroffenen Eltern kann schon lange vor der Geburt Hilfestellung
bei der emotionalen Akzeptanz ihres Kindes gegeben werden.1. Operative Verfahren In den letzten Jahren haben sich die Operationstechniken sehr stark verfeinert, so dass ästhetisch immer bessere Ergebnisse erzielt werden können. Bei den meisten Spaltformen ist jedoch nicht der gleichzeitige Verschluss aller Spaltabschnitte möglich und sinnvoll, so dass abhängig vom Schweregrad der Erkrankung oft mehrere Operationen erforderlich sind. Reihenfolge und Zeitpunkt der Einzeloperationen sind an den verschiedenen Behandlungszentren unterschiedlich. Um eine gezielte kontinuierliche Entwicklung des Kindes zu sichern, sollte ein Wechsel des Behandlungsteams nur aus gewichtigen Gründen erfolgen. Die Therapie beginnt bei allen Spaltformen mit Lippenbeteiligung mit der Lippenplastik.in Dresden wird diese wie auch in andern Krankenhäusern mit 4-6 Monaten durchgeführt. Hierbei erfolgt die genaue anatomische Rekonstruktion aller gespaltenen Anteile, dass heißt der Schleimhaut unter Bildung eines Mundvorhofs, des Musculus orbicularis oris und der äußeren Haut. Dabei wird auch
der Nasenboden gebildet und der Naseneingang geformt. Um den zur Seite verlagerten Nasenflügel in eine anatomisch korrekte Position zu bringen, wird nach subperiostaler Präparation die paranasale Muskulatur gelöst und die Nasenknorpel mobilisiert, um sie anschließend in der neuen Lage zu fixieren. Das Vorgehen ist bei vollständigen und unvollständigen Lippenspalten ähnlich. In unserer Einrichtung wird für die Lippenplastik der Wellenschnitt nach PFEIFER verwendet.
Unterschiede in der operativen Therapie der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten bestehen vor allem bei der Methodik und der Zeitwahl der Gaumenplastik. Man unterscheidet dabei ein einzeitiges Vorgehen (Verschluss des harten und weichen Gaumens in einer Operation mit 9 - 12 Monaten) von einem zweizeitigen Vorgehen (Verschluss des weichen Gaumens mit 9 - 12 Monaten und danach Verschluss des harten Gaumens mit 2 - 3 Jahren). Es besteht jedoch eine Diskrepanz zwischen einer möglichst frühzeitigen funktionellen Rekonstruktion für eine ungehinderte Sprachentwicklung.
Und den gegebenenfalls auftretendenWachstumsstörungen im Kiefer-Gesichtsbereichaufgrund der Narbenbildungen am Gaumen. Die Wahl des Operationsverfahrenshängt von den individuellenGegebenheiten wie der Spaltform oder-breite ab. Ziel ist die Trennung von Mund- und Nasenhöhle und die Rekonstruktion des Ringmuskelsystems des weichen Gaumens und des Rachens um einen dichten Abschluss zu erreichen und die Belüftung des Mittelohres zu gewährleisten. Zunächst wird die nasale und die orale Schleimhaut vom knöchernenGaumen gelöst. Zur Bildung der Nasengänge werden die nasalen Blätter mit der Schleimhaut des Vomer vereinigt. Die palatinale Schleimhaut wird im Sinne eines Brücken- oder Stiellappens nach medial verlagert und dicht verschlossen. Im Bereich des weichen Gaumens muss die fehlinserierende Muskulatur vom Hinterrand des knöchernen Gaumens abgelöst und in anatomisch korrekter Verlaufsrichtung vereinigt werden, um ein ausreichend langes Gaumensegel zu erzielen und durch den Muskelzug die Öffnung der Tuba auditiva zu ermöglichen.
Die Kieferspalte im Bereich des Alveolarkammes wird zu einem späteren Zeitpunkt verschlossen. Die genaue Festlegung des Operationstermins erfolgt in gemeinsamer Absprache mit dem Kieferorthopäden in der Spaltsprechstunde, da im selben Eingriff eventuell überzählige oder versprengte Zähne mit entfernt werden müssen. Wir empfehlen die Kieferspaltosteoplastik kurz vor dem Durchbruch des bleibenden Eckzahnes (8. - 11. Lebensjahr),
der dann in die Lücke bewegt werden kann und ein knöchernes Lager vorfindet. Für die Osteoplastik werden Spongiosa- Zylinder über einen kleinen Schnitt aus dem Beckenkamm entnommen und in die Kieferspalte transplantiert . Vor der Einschulung mit ca. 6 Jahren sind die meisten Kinder mit Lippen-Kiefer- Gaumenspalten vollständig rehabilitiert, d.h. es liegt ein unauffälliges Äußeres vor, Hören und Sprechen sind wie bei den Gleichaltrigen. Bei wenigen Kindern verbleibt in seltenen Fällen trotz exakter Rekonstruktion der Muskelschlinge am weichen Gaumen und trotz der logopädischen Therapie ein offenes Näseln, da die Abschlussfunktion des Gaumensegels unzureichend ist. Hier empfiehlt sich eine sprachverbessernde Operation (Velopharyngoplastik).Dabei wird ein kranial oder kaudal gestielter Schleimhaut-Muskel-Lappen aus der Rachenhinterwand in dasGaumensegel eingelagert und eine Verlängerung des Velums bewirkt.
Bei schweren doppelseitigen Spalten verbleibt gelegentlich ein zu kurzer Nasensteg mit einer abgeflachten Nasenspitze. Mittels einer sogenannten Gabellappenplastik kann unter Nutzung der vorhandenen Narben in der Oberlippe der Nasensteg verlängert und die Basis der Nasenflügel nach medial gebracht werden. Diese Korrekturen sollten jedoch erst nach Abschluss des Wachstums (16. - 18. Lebensjahr) durchgeführt werden. In manchen Fällen verbleiben deutlichere Narben oder ein Schleimhautüberschuss in der Oberlippe, was vor der Einschulung noch korrigiert werden kann. Nur bei sehr wenigen Patienten kommt es aufgrund der Wachstumshemmung zu einer unzureichenden Entwicklung des Mittelgesichts.Mit kieferörtopädischen Lösungen ist es dann nicht mehr möglich das harmonisches Größenverhältnis von Oberund Unterkiefer zu schaffen, so dass nach Abschluss des Wachstums eine operative Bisslagekorrektur notwendig wird. Nach entsprechender kieferorthopädischer Vorbehandlung zur Ausformung der Zahnbögen erfolgt dann eine Vorverlagerung des Oberkiefers und gegebenenfalls zusätzlich eine Rückverlagerung des Unterkiefers, um eine normale Verzahnung zu erzielen.
Da die Oberkiefervorverlagerung sich aufgrund der Narben nach den Operationen
zum Spaltverschluss in manchen Fällen schwierig gestalten kann, kommt als alternatives Verfahren die Osteodistraktion zur Anwendung.
2.Kieferorthopädische Behandlung
Besonders wichtig ist die gemeinsame Betreuung durch den Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen
und den Kieferorthopäden bei Kindern mit Spaltbildungen des harten
Gaumens. Die Nahrungsaufnahme ist bei breiten Spaltformen erheblich beeinträchtigt, da Flüssigkeit in die Nase übertreten kann. Hier sollte eine sogenannte Trinkplatte eingesetzt werden, die die Mundhöhle von der Nasenhöhle rennt. Außerdem wird verhindert, dass sich die Zunge weiterhin unwillkürlich in die Gaumenspalte legt. Eine Normalisierung der Zungenfunktion ist günstig für die Entwicklung einer regelrechten Lautbildung. Die Platte bewirkt außerdem eine Steuerung der wachsenden Kieferanteile. Die Anfertigung erfolgt durch den Kieferorthopäden möglichst schon innerhalb der ersten 10 Lebenstage, da sich die Kinder in dieser Zeit sehr leicht daran gewöhnen. Wenn bei den regelmäßigen Kontrolluntersuchungen Zahn- oder Kieferfehlstellungen festgestellt werden,
ist eine weitere kieferorthopädische Behandlung erforderlich. Das erfolgt dann mit herausnehmbaren oder festsitzenden Apparaturen und kann mehrere Jahre dauern.
3.Gehör und Sprache
Aufgrund von Spaltbildungen im Bereich besonders des weichen Gaumens kann
es durch den fehlenden Muskelzug auf die Tuba auditiva zu Tubenbelüftungsstörungen
kommen. Folge davon können Paukenergüsse und Mittelohrentzündungen
mit späterer Schwerhörigkeit sein. Um das zu verhindern, werden die Kinder in der Spaltsprechstunde regelmäßig von einem Hals-Nasen-Ohrenarzt untersucht und Hörprüfungen durchgeführt. Sollte sich die Indikation für eine Parazentese oder Paukendrainage ergeben, so können diese Eingriffe gleichzeitig zum Beispiel mit der Lippenplastik durchgeführt werden.
Auch die Entfernung adenoider Vegetationen macht sich manchmal erforderlich, um eine regelrechte Nasenatmung zu gewährleisen und schlafbedingten Atemstörungen vorzubeugen. Ein normales Hörvermögen ist die Voraussetzung für eine regelrechte sprachliche Entwicklung. Bei einer unbemerkten Hörstörung kann es zu einer verzögerten, nicht altersgerechten Sprachentwicklung kommen. Da bei der Lippen-Kiefer-Gaumen- Segel-Spalte auch die Sprechwerkzeuge betroffen sind und mitunter das problemlose Zusammenspiel der Lippen, Zungen- und Gaumensegelmuskulatur beeinträchtigt ist, treten Störungen der Lautbildung, Sprachentwicklung und des Stimmklanges auf. Vor- und rückverlagerte Artikulation und Rhinophonia aperta werden dann beobachtet. Deshalb sollte beim Phoniater und Logopäden eine regelmäßige Kontrolle erfolgen, um rechtzeitig mit einer myofunktionellen Therapie und einer Sprachübungsbehandlung beginnen zu können. Regelmäßige Nachuntersuchungen, später in jährlichem Abstand meist im Geburtsmonat, in unserer interdisziplinären Spaltsprechstunde sind zur Kontrolle der Entwicklung von Wachstum, Sprache und Gehör unbedingt erforderlich. Daneben ist eine konstante zahnärztliche Betreuung notwendig, da besonders im Milchgebiss eine erhöhte Kariesanfälligkeit besteht und vorzeitiger Zahnverlust Wachstumsstörungen der Kiefer begünstigen kann. Von besonderer Bedeutung sind sämtliche Maßnahmen zur Kariesprävention wie gesunde Ernährung, sorgfältige Zahnpflege, Gabe von Fluortabletten und lokale Fluoridapplikation. Spaltbildungen stellen in der Regel nur eine vorübergehende Beeinträchtigung dar. Vom Gesetzgeber wird mit der Festlegung des „Grades der Behinderung“ (GdB) eine Möglichkeit geschaffen, um zusätzliche finanzielle Belastungen für die Betroffenen auszugleichen. Der GdB wird auf Antrag der Eltern beim zuständigen Versorgungsamt des Heimatortes festgelegt.
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Winnie Pradel Klinik und Poliklinik für Mund-,Kiefer- und Gesichtschirurgie Universitätsklinikum
Carl Gustav Carus Dresden
Fetscherstraße 74
01307 Dresden
Tel.: 0351 458 2448, Fax: 0351 458 5382
Email: winnie.pradel@mailbox.tu-dresden.de
Kommentar Prof. em. Dr. Dr. Barbara Langanke,
Markkleeberg: Die Inzidenz der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten ist in den letzten Jahrzehnten in Mitteleuropa deutlich gestiegen.
Die Behandlung der betroffenen Kinder und Jugendlichen stellt ein echtes interdisziplinäres Anliegen dar. Dabei sollten die Vertreter der beteiligten Disziplinen sowohl entsprechende Kenntnisse mitbringen als auch Einfühlungsvermögen in die jeweilige spezielle Problematik des anderen Fachgebietes entwickeln, um ein funktionell und ästhetisch optimales Ergebnis für die Patienten zu erzielen. In diesem Sinne wurde bereits Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre die Klinik für Plastische und Wiederherstellende Kiefer- und Gesichts-Chirurgie Thallwitz für die komplexe Behandlung von Patienten mit Lippen- Kiefer-Gaumenspalten und weiteren Anomalien des Gesichtsschädels ausgebaut. In Deutschland ist dieses Grundprinzip an zahlreichen, nicht nur universitären medizinischen Einrichtungen realisiert worden, so dass die Behandlung dieser Fehlbildungen ein hohes Niveau erreicht hat.
Mit der Auflösung der Spezialklinik in Thallwitz im Jahre 1994 ergab sich trotz
des Übernahmeangebots an die Patienten durch die Klinik für Mund-, Kiefer- undplastische Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums Leipzig die Notwendigkeit der dezentralen Fortführung der interdisziplinären Behandlung der Betroffenen. Entsprechend wurden 1994 an der Universitätsklinik in Leipzig, 1995 in Dresden sowie am Klinikum Chemnitz gGmbH Spezialsprechstunden für die betroffenen Patienten unter Leitung der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen mit Beteiligung der Fachgebiete Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde einschließlichmder Logopädie, der Kieferorthopädie, der Pädiatrie und im Einzelfall der Humangenetik etabliert. Da aber auch andere nicht direkt beteiligte Ärzte/Fachärzte mit Problemen von Patienten mit LKG-Spaltbildungen konfrontiert werden, erfüllt die vorliegende Arbeit ein wichtiges Anliegen des „Ärzteblatt Sachsen“ – die Information und Fortbildung der Ärzteschaft.